Juri Kondratkow

Juri Kondratkow

Frankfurts 4. Revier war 20 Jahre sein Wohnzimmer

Wenn Kriminalhauptkommissar Juri J. Kondratkow von seinem Vater in der Roten Armee erzählt und von seiner Mutter, die den Vater hochschwanger aus dem Gefängnis loseiste, dann kann man schon mal vom üblichen Ablauf abweichen. Bloß keine Fragen stellen – zu interessant ist der Werdegang des Beamten, der parallel zur Boxausbildung im Internat Sport an der Fern-Uni studierte, schließlich alles hinschmiss und beim Bau jobbte. „Ich wollte ohnehin nicht boxen, war nur den Eltern zuliebe dabei geblieben.“ Der berühmte Tropfen im Fass war die Weigerung, ihm für eine Klausur trainingsfrei zu geben – im Gegensatz zu einem anderen, in dessen Vaters Werkstatt die Autos der Oberen repariert wurden. Ein neues Studium durfte der junge Juri nicht aufnehmen, dafür sorgte das Regime. Aber er durfte zumindest mauern, unter anderem zog er Wände in einem Polizeigebäude und bewarb sich darüber schließlich bei der Polizei. In der DDR gab es offiziell keine Gewalttaten und die Polizisten trugen Waffen nur sehr versteckt unter der Kleidung. Kondratkow gehörte zum letzten Lehrgang, dessen DDR-Polizeiausbildung auch in der Bundesrepublik anerkannt wurde. Jedenfalls wurden Hammer und Sichel der alten Ost-Uniform nur mit einem Patch des thüringischen Landeswappens, dem aufrecht stehenden Löwen, überklebt. In diese Zeit fällt auch ein besonderer Einsatz. Die Eltern eines jungen Mannes wussten sich nicht anders zu helfen, als die Polizei zu rufen, weil ihr Sohn sich in seinem Zimmer eingeschlossen hatte und über Stunden dröhnende Musik laufen ließ, ohne zu reagieren. Die Situation vor Ort schaukelte sich schnell hoch und der junge Mann, Fleischerlehrling mit massiger Statur, verfolgte Kondratkow mit Hackbeil und Messer bis nach draußen. Der Beamte riss sein Hemd auf, dass die Knöpfe zu allen Seiten sprangen, um an seine Dienstwaffe zu gelangen. Schließlich schoss er zweimal auf den Oberschenkel seines Verfolgers. Bei den Kollegen wurde er als Held verehrt, doch ihm selbst ging das sehr nahe. Durch eine zufällige Begegnung mit einem Polizisten aus Frankfurt am Main beschloss er, seine Heimat zu verlassen. Ein regelrechter Kulturschock, wie er mehrmals betont. „Ich hatte Respekt vor diesem Koloss mit seinem Milieu“, sagt er und bewarb sich genau dort, beim 4. Revier im Frankfurter Bahnhofsviertel. „Ich kannte das Gebiet wie mein Wohnzimmer und blieb 20 Jahre.“ Bordelle, Menschenhandel, Rauschgift und die russische Mafia – „Respekt musste man sich verdienen“, sagt Kondratkow, der oft Informanten aus der Szene fand und schließlich zur Kripo nach Gießen wechselte. Heute ist er in der Jugendarbeit aktiv, informiert in Schulen, baut auf das Konzept „Statt Strafe Trainingsstunden“. Hier arbeitet er zusammen mit dem Boxverein Uppercut Gießen und dem Footballverein Gießen Golden Dragons. Nebenbei pflegt er noch seinen Vater. Und wenn er doch mal irgendwann ein bisschen Zeit findet, ist er vielleicht mit seiner Freundin unterwegs auf seiner Jolle – denn Trubel, den braucht er nicht mehr.